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Zehntausende von Kindern und Familien gestärkt: In Erinnerung an Dr. Edith Klasen (1927 – 2022)

Veröffentlicht von akl_admin am

Dr. Edith Klasen bei der 40-Jahr-Feier des Kinderhaus München im Studio Balan in München

Auch dieses Schuljahr werden wieder Tausende von Kindern in Bayern von der Forschung und dem Engagement der Diplom-Psychologin Dr. Edith Klasen profitieren. Denn sie forschte bereits vor 60 Jahren in den USA zum Thema Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Störung) und brachte ihre Erkenntnisse ab den frühen 70-er Jahren in Deutschland ein. Auch für Kinder mit AD(H)S oder Dyskalkulie (Rechenstörung) setzte sie sich ein. Darüber hinaus machte sie sich für die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte stark. Im Sommer 2022 ist Dr. Edith Klasen 95-jährig in München gestorben.

Kindheit und Jugend verbrachte Klasen in Köln, doch nach der Ausbildung zur Wohlfahrtspflegerin in der Jugendpflege und dem Beginn ihres Psychologiestudiums zog es sie in die weite Welt. Ab 1963 forschte sie, inzwischen Diplom-Psychologin, am universitären Raskob-Institut in Oakland in den USA. Klasen begleitete 500 Jungen und Mädchen, die – trotz allgemein guter bis überdurchschnittlicher Intelligenz – am Lesen und/oder Schreiben nahezu verzweifelten. Die deutsche Diplom-Psychologin analysierte ihre Entwicklung und arbeitete heraus: Wer Legasthenie hat, dem mangelt es keinesfalls an Intelligenz. Er oder sie nimmt Schriftsprache einfach anders wahr als andere. Darum hilft auch kein stures Lernen und kein Druck – neue, andere Zugänge zum Lesen und Schreiben sind gefragt.

Glückliche Umstände – für Klasen und Kinder

Ihre Forschung zur Legasthenie machte Klasen später in der Schweiz zum Inhalt ihrer Doktorarbeit, die 1970 veröffentlicht wurde und weite Kreise zog. Zum Glück für bayerische Schulkinder brachte eine berufliche Herausforderung Dr. Edith Klasen wenige Jahre später nach München. Dort wurde sie wissenschaftliche Fachleiterin des Verbandes Katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern e.V. im Caritasverband. Sie vermittelte wertvolles Wissen über die frühkindliche Entwicklung und verbesserte die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern. Später avancierte Klasen sowohl zur Schriftleiterin der Publikation „Katholischer Kindergarten aktuell“ als auch zur Referentin auf internationalen Kongressen.

„Edith war eine sehr gute Schreiberin und alles, was sie sagte, hatte Hand und Fuß“, erinnert sich ihre langjährige Mitarbeiterin und Freundin Barbara Kilian. „Sie baute Netzwerke in der Pädagogik, vernetzte zum Beispiel die Hortnerinnen, und war eine hervorragende Chefin.“ 1978 übernahm Klasen den Ersten Vorsitz des Verbands und machte sich für die Kindesentwicklung und für Erzieher stark – gerade, wenn politisch Gegenwind kam.

Gleichzeitig ließ Klasen das Thema ihrer Doktorarbeit nicht los. Sie erlebte, wie schwer es Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten in Bayern hatten, wo selbst unter Lehrkräften und Kinderärzt*innen die Legasthenie noch relativ unbekannt war. Klasen lernte Liselotte Eckerl-Riesch kennen, Mutter eines betroffenen Kindes und Gründerin einer Elterninitiative, die später zum Arbeitskreis Legasthenie Bayern e.V. (AKL) wurde. Die Aktiven taten alles dafür, Kinder mit Legasthenie psychisch aufzubauen und dann gezielt zu fördern. Klasen beschloss, sich hier mit ihren wissenschaftlichen Erkenntnissen, viel Zeit und Herzblut mit einzubringen. Denn: „Wenn ein Kind in der Klasse ins Abseits gerät oder oft hört: ,Du bist dumm, du bist faul‘, dann entstehen Blockaden  und Ängste bis hin zu Selbstmordgedanken“, hatte sie beobachtet.

Klasen wurde zudem Gründungsmitglied des Landesverband Legasthenie Bayern e.V.. Sie trug dazu bei, dass Zehntausende von Kindern und Jugendlichen eine kombinierte Lern- und Psychotherapie bei qualifizierten Diplom-Psycholog*innen bekamen, wie der AKL sie bis heute landesweit vermittelt. Auch, dass Kinder den gesetzlichen vorgeschriebenen Nachteilsausgleich in der Schule gewährt bekommen sowie weitere Unterstützung in Schulen oder Ausbildungsstätten, setzte Dr. Edith Klasen mit durch.

Später machte der AKL auch die Dyskalkulie (Rechenstörung) zu einem seiner Themen, und Dr. Edith Klasen stärkte auch diesen Kindern den Rücken. Weil viele mit Legasthenie und Dyskalkulie zusätzlich hyperaktiv sind, engagierte sie sich zudem bei der „Elterninitiative zur Förderung Hyperaktiver Kinder“, heute „ADHS Deutschland“. Und das lange über das gesetzliche Rentenalter hinaus.

Auszeichnungen – und was wirklich zählt

2009 wurde Dr. Edith Klasen 82-jährig mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Für sie eine schöne Bestätigung. „Ich habe viel erreichen können“, zog sie ein Fazit, schob aber sofort hinterher: „Einiges ist besser geworden, aber noch lange nicht gut.“ Darum engagierte sie sich bis zum Alter von 85 Jahren freiberuflich im Arbeitskreis Legasthenie e.V. und half selbst danach Familien in Nöten – mit Rat und Tat.

Dr. Edith Klasen mit AKL-Geschäftsführer Rainer Eckerl
Edith Klasen zusammen mit Rainer Eckerl (Geschäftsführer des AKL Bayern e.V.) bei der 40-Jahr-Feier von Kinderhaus München (Bild: Kinderhaus München)

„Dass sie uns vier Jahrzehnte lang begleitet hat, hat uns sehr viel Rückenwind gegeben – vor allem aber vielen Tausend Kindern den Weg in ein erfülltes Erwachsenenleben geebnet“, sagt Rainer Eckerl, Geschäftsführer des Arbeitskreis Legasthenie Bayern e.V. Vielen jungen Diplom-Psycholog*innen war Dr. Edith Klasen mit ihrem messerscharfen Verstand, ihrem Fleiß und ihrer Leidenschaft ein Vorbild. Die Kinder und Jugendlichen erlebten sie als jemanden, der an sie glaubte, wenn es sonst (fast) niemand tat. Und so wurde es zum schönsten Lohn für Klasen, wenn ehemalige Therapie-Kinder sich als Erwachsene bei ihr meldeten mit Aussagen wie: „Dass es mir heute so gut geht und ich Erfolg habe, verdanke ich nur ihnen.“

In den letzten Jahren ließ Dr. Klasens Gesundheit nach. Sie zog sich zunehmend ins Private zurück, genoss die Zeit mit guter Lektüre, Verwandten, ihren Patenkindern und Freunden. Da sie den Kontakt zu vier Generationen pflegte, trauern jetzt sehr viele um sie – und sind gleichzeitig dankbar, sie in ihrem Leben gehabt zu haben. Was bleibt, sind natürlich auch Dr. Edith Klasens Fachbücher und pädagogische Fachartikel – vor allem aber die Spuren, die sie im Umgang mit Menschen hinterließ. Allen voran Jungen und Mädchen, die ohne sie kaum eine Chance auf adäquate Förderung bekommen hätten. Kinder, bei denen Lehrkräfte erst mal nur Defizite sahen – aber Dr. Edith Klasen sah das Liebenswerte und die Talente.